Sonntag, 15. April 2012

E-Mail Interview mit dem Musiker Stephen Parsick

Stephen Parsick ist Künstler, seine Ausdrucksform ist die elektronische Musik. 1996 gründete er die Band [´ramp]. 1998 veröffentlichte er sein erstes Solo Album "Traces of the Past". Im selben Jahr erschien bei Mario Schonwalders Manikin Records das erste [´ramp] Album mit dem Titel "nodular". Von 1998 bis 2002 arbeitete Parsick mit Klaus Hoffmann-Hoock. Auch spielte er zeitweise in den Bands 'Cosmic Hoffmann' und 'Mind over Matter'. Stephen Parsick, Jahrgang 1972, hat sich als Musikproduzent und Sound Designer einen Namen gemacht. Sein Musikstil ist als 'Dark Ambient' bekannt geworden und sticht aus dem von Plattenfirmen und Medienkonzernen produzierten Einheitsbrei heraus.

Gleich zu Beginn unseres Email-Interviews stelle ich Dir die Frage aller Fragen: wie kamst Du dazu elektronische Musik zu machen?

Ich habe zum ersten Mal diese Musik gehört, als ich noch in den Kindergarten ging. Irgendetwas daran hat mich einfach umgehauen, und als ich das erste Mal Jarres "Oxygene" hörte, wußte ich, daß ich auch sowas machen wollte. Diese Klänge haben einfach ganz tief in mir eine Saite berührt, und die hat seither nicht mehr aufgehört, zu schwingen. Später lernte ich dann die Musik von Klaus Schulze und Tangerine Dream kennen, und bei Schulze dachte ich das erste Mal "Das kannst Du auch, der spielt ja genauso schlecht wie Du!" Davor hatte ich nur so Zeug wie Tomita und Wendy Carlos gehört, die ja diesen ganzen klassischen Kanon rauf- und runtergespielt haben -- und mit klassischer Musik wollte ich nichts zu tun haben, weil die Formalismen, die ihr zugrunde liegen, meinen Geist viel zu sehr in eine bestimmte Richtung gezwängt hätten. Gerade diese stilistische Freiheit, die einem die nicht-akademische elektronische Musik eröffnet, finde ich sehr spannend und befreiend: Ich muß mich nicht um über Jahrhunderte hin wie heilige Kühe tradierte Formalismen scheren, sondern kann einfach die Musik entstehen lassen und womöglich selbst einen Stil schaffen. Von dieser Warte aus betrachtet finde ich die freiwillige stilistische Einengung, die heute viele Macher von EM auf sich nehmen, völlig kontraproduktiv und im Grunde sogar schädlich für den Ursprungsgedanken -- da ist endlich eine Musik, die einem alle Freiheiten gibt, und sie tauschen diese Freiheit aus Mangel an Disziplin oder Angst vor eben der Freiheit gegen eine formale Einengung ein. Das hat mehr etwas von Anbiederei an andere Stile und Szenen als vom Finden einer eigenen Ausdrucksform.

Stephen Parsick im Foyer des Planetarium Bochum
Der Musiker Stephen Parsick im Planetarium Bochum

Viele Menschen glauben immer noch, dass Musiker das Leben eines Bohémiens führen. Wie sieht Dein Arbeitsalltag als Künstlers wirklich aus?

Ich kann von meiner Musik nicht leben, und jede neue Produktion lebt vom Erfolg der vorhergehenden; wenn ein Album sich schlecht verkauft und die Produktionskosten nicht wieder einspielt, steht es schlecht um die Veröffentlichung des nächsten Albums. Im Idealfall trägt die Musik sich selbst -- oder es geht halt gar nichts. Ich arbeite daher hauptberuflich als Fremdsprachendozent bei diversen Bildungsträgern in Ostwestfalen und im südlichen Niedersachsen, um die Brötchen zu verdienen und die Miete zu bezahlen. Ich halte es hier mit Tommi Stumpff, der mal so schön sagte, daß jemand, der nicht bereit ist, für seine Kunst zu hungern oder einen zweiten Job anzunehmen, auch nichts zu sagen hat.
Das einzig Bohemische, das ich bis dato erlebt habe, ist, daß ich meine Arbeitszeit etwas freier gestalten und besser meinem eigenen Lebensrhythmus anpassen kann. Wer aber glaubt, daß Kunst ein Freibrief ist, um auf der faulen Haut zu liegen, der irrt sich gewaltig -- das gilt allenfalls für Leute, die von einem familiären Speckpolster zehren können, das sich andere für sie angefressen haben. Und im Gegensatz zur immer noch weitverbreiteten Auffassung, bei elektronischer Musik müsse man nur auf einen Knopf drücken und dann macht sie sich von alleine, muß man diszipliniert arbeiten, um am Ende ein Resultat zu bekommen -- das kommt nicht von nichts. In erster Linie ist Kreativsein harte Arbeit und sehr viel Disziplin; wenn Du anfängst, selbstgefällig zu werden oder das Mittelmaß als Eichmaß für Dein Handeln akzeptierst, dann hast Du im Prinzip schon verloren, weil dann die Motivation, sich selbst verbessern oder entwickeln zu wollen, schon verflogen ist.

Planetarium Bochum am Abend des 13. Dezember 2008.
Planetarium Bochum am Abend des 13. Dezember 2008

Was ist die treibende Kraft für Deine Musik? Der schöpferische Drang, die Inspiration?

Klaus Schulze sagte mal in einem Interview, daß der Antrieb eines Künstlers darin liege, daß er mit seiner Umwelt unzufrieden sei und er sie durch seine Arbeit verbessern wolle. Das ist vielleicht eine gute Umschreibung, denn diese Unzufriedenheit mit dem Status Quo, den bestehenden Verhältnissen vor allem in der Musikwelt ist bei mir definitiv vorhanden, nur glaube ich nicht, durch meine Arbeit irgendetwas verändern zu können. Das ist aber keine Ausrede, um diese Arbeit nicht zu machen. Ob sie jemals etwas bewegen wird, weiß ich nicht. Diese Frage kann ich nicht zur Grundlage meiner Entscheidungen machen.
Es gibt keine eindeutige Quelle, was die Inspiration angeht. Inspiration kann aus einer Klangfarbe erwachsen, die ich bei einem Instrument gefunden habe, aus dem Zusammenwirken von mehreren musikalischen Kräften, aus Dingen, die um mich herum geschehen, oder ganz spontan aus dem Moment und einer Eingebung heraus. Ich will das auch nicht weiter erkunden oder verstehen, denn die Magie des Schöpfungsaktes ist nur solange Magie, solange man sie nicht durch zuviele Fragen entzaubert. Die treibende Kraft ist für mich die Neugier, verstehen zu wollen, wie aus elektronischen Instrumenten Musik geholt wird. Der schöpferische Drang ist wahrscheinlich am ehesten als Bestreben, mich selbst immer wieder verblüffen und erfreuen zu wollen, zu beschreiben. Aber, wie gesagt, ich versuche, das so wenig wie möglich zu reflektieren.

Planetarium Bochum am Abend
Planetarium Bochum am Abend

An welchem Projekt arbeitest Du gerade?

Derzeit sitze ich an den Vorbereitungen zu meinem Konzert im Bochumer Planetarium, bei dem ich Material von der jüngsten ['ramp]-CD "return" spielen werde sowie noch einiges an neuem Material, das erst noch geprobt und in Form gebracht werden muß. Ferner habe ich noch ein paar Aufnahmen hier liegen, an denen ich seit der Veröffentlichung von "return" arbeite, damit demnächst vielleicht die neunte ['ramp]-CD erscheinen kann.

Der PC ist ein wichtiges Werkzeug für den Künstler. Dazu kommt noch das Internet. Diskussionsforen, Blogs und Webseiten wie musiczeit.com oder iapetus-store.com sind für viele unentbehrlich geworden. Wie stark nutzt Du für Deine Arbeit das Internet?

Wenig. Ich bin zwar in einigen einschlägigen Foren zu finden, in denen ich Werbung für mich und meine Arbeit mache und auch gelegentlich dummes Zeug schreibe, aber ich halte das Internet im Großen und Ganzen für eine massive Zeit- und Energieverschwendung. Es gibt Leute, die tausende von Facebook-Freunden haben, und wenn sie eine neue Platte veröffentlichen, kauft von diesen tausenden von Freunden vielleicht eine Handvoll die CD -- da rechtfertigt der Aufwand nicht den Nutzen. Was soll der Quatsch also? Ich mache mich daher lieber rar, als überall durch ständige Überpräsenz und Schaumschlägerei aufzufallen -- vielleicht die einzig mögliche Strategie, gewissermaßen eine Gegenbewegung zu dem, was alle anderen machen.
Der PC hat für mich nur die Funktion einer sehr flexiblen Tonbandmaschine, mit der ich meine Arbeit produzieren kann. Man sollte diesen technischen Krücken aber nicht mehr Raum geben, als sie ohnehin schon einnehmen, denn zu schnell wird man von ihnen abhängig -- und ich hasse nichts mehr, als einer Abhängigkeit ausgeliefert zu sein. Ich wünsche mir sogar manchmal, ich bräuchte nur eine akustische Gitarre und meine Stimme, um mich ausdrücken zu können -- ohne diesen ganzen Apparat, der immer eine Steckdose braucht, um funktionieren zu können.
Stephen Parsick und Ina Parpart im Kuppelsaal des Planetarium Bochum
Stephen Parsick und seine Ehefrau Ina Parpart im Kuppelsaal des Planetarium Bochum


Könntest Du dir vorstellen einen eigenen Blog zu betreiben?

Wofür? Wen sollte es interessieren, was ich zu sagen habe? So ein Blog kostet Zeit, Energie und Aufmerksamkeit, die ich lieber meiner Musik widme -- das, was ich zu sagen habe, versuche ich, durch meine musikalische Arbeit zu sagen. Mir ist es schon manchmal zuviel, Emails zu beantworten, weil jeder jederzeit an jedem Ort verfügbar geworden und am besten schon alles vorgestern erledigt worden ist. Seit das Internet die Macht über unser Denken, Fühlen und Handeln übernommen hat, glaubt jeder, sein Senf sei wichtig und müsse unbedingt dazugegeben werden. Dabei ist das meiste einfach nur Zeitverschwendung und hätte genausogut nicht gesagt oder geschrieben werden können -- wie womöglich auch dieses Interview hier.  
Wie ist Deine Meinung zu den "sozialen Netzwerken", wie Facebook, Twitter, StudiVZ, Xing, und dergleichen?

Ich lehne sie von Grund auf ab und gönne mir den Luxus, asozial zu sein. Für mich hat diese Bindung von Energien und Aufmerksamkeit schon fast etwas Faschistoides an sich. Da wird Menschen systematisch Energie und Lebenszeit abgezapft und ihr Denken, Fühlen und Handeln an ein völlig aus der Kontrolle geratenes System gebunden -- und alle machen begeistert mit und lassen sich freiwillig all die sozialen Zwänge aufbürden, die diese Netzwerke mit sich bringen! Da wird dann das Leben in einer Parallelwelt gelebt, die nur aus virtuellen Freunden besteht, aber in der wirklichen Welt geht man sich dann aus dem Weg und hat einander nichts mehr zu sagen -- aber davon eine ganze Menge!

Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Welt. Wie gehst Du mit diesen Veränderungen um?

Ich versuche, mich bewußt zu entschleunigen, indem ich mich solchen Netzwerken und Vereinnahmungen soweit es geht entziehe. In meinem Leben haben Apps, Smartphones, Handies, Internetflatrates, soziale Netzwerke, Computerspiele oder das neueste Wii keinen Platz. Ich vermeide es auch, meine Zeit den Medien zu widmen. Das mag ein wenig weltfremd scheinen, aber ich denke, in der Welt geschieht nichts, was für mich wichtig wäre: Die Welt geht auch unter, ohne daß ich es mir live bei RTL ansehe. Wieso soll ich also meine Zeit mit Problemen verschwenden, die ich nicht zu verantworten habe und für die ich keine Lösung kenne? Die Konsequenzen, die aus dem Handeln anderer für mich erwachsen, muß ich noch früh genug tragen, das reicht mir voll und ganz. Ich fokussiere mich stattdessen auf meine kreative Arbeit, weil ich damit keinen Schaden für die Welt anrichte. Das Arbeiten mit der Art von Instrumenten, die ich verwende, ist ebenfalls etwas, das enorm entschleunigt, denn jede Note, jeder Klang muß einzeln erschaffen werden, ohne daß ein hypermodernes Computersystem tausend und einen Trick auf einmal für mich erledigen könnte

Foyer des Planetarium Bochum
Foyer des Planetarium Bochum

Wenn Du einen Plan für die nächsten, sagen wir, vier Jahre hättest, wie würde der in etwa aussehen?

Überleben. Und vielleicht noch ein paar Platten machen, wenn ich darf.

Was würdest Du jungen Menschen raten, die gerade ihr Abitur/Hochschulreife erlangt haben und die vor der Entscheidung stehen ob Sie ein Studium beginnen oder in das Berufsleben einsteigen sollen?

Jeder muß seinen Weg für sich selbst finden und aus seinen eigenen Fehlentscheidungen und Irrtümern lernen -- dazu gehört auch, sie als solche zu erkennen und sie in Zukunft zu vermeiden. Von daher würde ich niemandem einen Ratschlag geben, denn Ratschläge sind auch Schläge. Ich glaube nur nicht, daß die Welt nochmal hunderttausend angepaßte BWL-Studenten braucht. Wir brauchen mehr Menschen, die Zeit ihres Lebens die bestehenden Verhältnisse infragestellen und vielleicht auch Impulse geben können, um sie zu verändern. Bevor man also auf ein Studium zurückgreift, bloß, weil man keine Perspektive findet oder nicht weiß, was man mit sich selbst anfangen soll, sollte man sich überlegen, was man immer schon machen wollte -- und dann versuchen, einen Weg zu finden, mit dem man dieses Ziel erreichen kann. Das kann ein Studium sein, eine künstlerische, handwerkliche oder kaufmännische Ausbildung -- ein allgemein gültiges Patentrezept gibt´s da nicht. Das Einzige, das man immer einkalkulieren sollte, ist die Möglichkeit des eigenen Scheiterns -- was wir am Ende sowieso alle tun, was hat man also zu befürchten? Scheitern gehört dazu, denn wie sonst würdest Du einen Erfolg bemerken wollen?


Diskografie von Stephen Parsick
Diskografie von Stephen Parsick

Gibt es einen Traum, den Du dir erfüllen möchtest?

Ich versuche, mich und mein Handeln so wenig wie nur irgend möglich von Träumen und Wünschen bestimmen zu lassen, denn die meisten Träume sind und bleiben nur das -- Träume, die unerreichbar bleiben. Aus der Unfähigkeit, dieses idealisierte Ziel zu erreichen oder zu erkennen, daß diese Träume meist aus gutem Grunde unerreichbar bleiben, erwächst für einen selbst sehr viel Kummer und Frustration. Wenn überhaupt, dann möchte ich weiterhin kreativ bleiben dürfen und vielleicht noch das eine oder andere Instrument auf die Musik, die darin schläft, ausloten können..

Zum Abschluss möchte ich Dir eine ganz persönliche Frage stellen: was hast Du vom Leben gelernt?

Es ist zu kurz, um es mit Kompromissen zu vergeuden. Es ist zu kurz, um es mit Menschen zu vergeuden, die mir nur dumm im Weg rumstehen, meine Arbeit als Vehikel für ihre eigene Eitelkeit benutzen wollen oder mich davon abhalten, den Weg, den ich mir ausgesucht habe, mit aller Konsequenz zu beschreiten. Das Leben endet Minute um Minute, und man sollte diese Minuten nicht leichtfertig mit Dingen, die schlußendlich ohne Bedeutung sind, verschwenden. Dazu gehört natürlich auch die Erkenntnis, was für einen selbst wirklich von Bedeutung ist und was nicht. Wenn sich das Leben völlig unerwartet dergestalt verändert, daß man das, was einem eigentlich wichtig ist, nicht mehr machen kann, hilft einem das ganze Gejammere um die Zeit, wo man es noch hätte tun können, nichts. Wenn Du es jetzt nicht machst, wirst Du es wahrscheinlich niemals mehr machen können.



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